„Das Neunte Haus“ von Leigh Bardugo erzählt von magischen Geheimgesellschaften in der High Society. Alex Stern hat es ohne High-School-Abschluss an die renommierte Yale Universität in New Haven geschafft. Nicht aufgrund schulischer Leistungen, sondern weil sie Geister sehen kann, wurde sie dort aufgenommen. Ein Glücksgriff, sowohl für die altehrwürdige Institution, als auch für uns Lesende.
Doch warum braucht es in Yale eine junge Geisterseherin mit gebrochenem Lebenslauf? Dafür muss an dieser Stelle etwas ausgeholt werden: An der bereits im Jahr 1701 gegründeten Hochschule gibt es einflussreiche Studierendenverbindungen, von denen einige, wie die berüchtigte Gruppe „Skull and Bones“, von Verschwörungserzählungen umgeben sind.
Dark Academia trifft Urban Fantasy
Die Autorin Leigh Bardugo, die durch ihren Fantasy-Roman „Das Lied der Krähen“ erfolgreich wurde, spinnt diese Geschichten weiter. In ihrer Version von Yale gibt es acht Verbindungen, die sich jeweils einem speziellen Feld der Magie verschrieben haben. „Skull and Bones“ können aus Eingeweiden die Zukunft vorhersagen, „Book and Snake“ sind Nekromanten und „Wolf’s Head“ Gestaltwandler, um nur einige zu nennen.
Dank ihrer Gabe wird Alex von „Lethe“ rekrutiert. Dabei handelt es sich um „Das Neunte Haus“, womit wir beim Titel wären. „Lethe“ übernimmt für die anderen Häuser nicht nur die Geisterabwehr während Ritualen, sondern schlichtet auch Streitigkeiten und ermittelt bei internen Verbrechen.
Ermittlungen im Magiemilieu
Als eine junge Frau aus der Stadt nahe der Uni-Geländes ermordet aufgefunden wird, nimmt sich Alex auch dieser Sache an. Dabei stößt sie schnell auf Widerstände, die sie umso hartnäckiger ermitteln lassen. Hinzu kommt, dass ihr Mentor, der etwas ältere Student Daniel Arlington, vor kurzem während eines Rituals verschwunden ist und sie auf sich alleine gestellt ist. Erst nach und nach gewinnt sie die Unterstützung eines anderen Mitglieds von „Lethe“ und eines Geistes, der allerdings auch eigene Pläne schmiedet.
In diesem Punkt liest sich „Das Neunte Haus“ wie eine klassische Hardboiled-Cop-Geschichte. Die lokale Polizei, andere Studierende und auch ihre Vorgesetzten raten Alex immer wieder nachdrücklich dazu, die Ermittlungen einzustellen. Die toughe Geisterseherin aus ärmlichen Verhältnissen lässt sich davon aber nicht aufhalten und sucht inmitten des magisch begabten Geldadels nach Gerechtigkeit für die Ermordete.
Diese Reise führt Alex immer wieder in schaurige Situationen. An die Geister hat sie sich im Laufe ihres Lebens zwar gewöhnt, doch mehrfach kommt es zu Momenten, in denen übernatürliche Gefahren sie bedrohen. Dabei gelingen Leigh Bardugo fantasievolle Beschreibungen, die an phantastische Folklore und alte Mythen angelehnt sind.
Rückblenden in Rückblenden
Diese Haupthandlung nimmt nur eine Hälfte des Buches ein. Die andere besteht aus Rückblenden, in denen Alex‘ erste Wochen in Yale beschrieben werden. Darin erfahren wir, wie Daniel Arlington, den alle nur „Darlington“ nennen, sie mit den Gepflogenheiten der magiewirkenden Studierenden vertraut gemacht hat und sich die beiden langsam besser kennenlernen.
In diesem Rahmen kommt es auch zu weiteren Rückblenden, in denen Alex‘ bisheriger Lebensweg beschrieben wird. Als Geisterseherin kommt es seit ihrer Kindheit zu traumatisierenden und letztlich isolierenden Erlebnissen. Halt findet sie zunächst bei den anderen Außenseitern ihrer kalifornischen Heimat. Durch diese verstrickt sie sich aber auch in gefährliche wie demütigende Situationen im Drogen- und Kleinkriminellenmilieu. Ebenso wird Darlingtons Kindheit und Jugend geschildert, in welcher der eigenbrötlerische Junge im Herrenhaus seines Großvaters aufwächst und sich so lange mit Magie beschäftigt, bis „Lethe“ auf ihn aufmerksam wird.
Diese Erzählweise sorgt einerseits für eine größere charakterliche Tiefe der beiden Hauptfiguren, nimmt andererseits aber auch sehr viel Tempo aus der eigentlichen Handlung des Buches. Erst im letzten Drittel nimmt diese schließlich Fahrt auf. Vorher erfahren wir sehr viel über die Geheimgesellschaften und wie diese sich auf dem Campus organisieren, was natürlich gut fürs Worldbuilding ist.
Dekadenz und Sorglosigkeit
Leigh Bardugo beschreibt diese Parallelwelt der magischen Studierendenverbindungen mit vielen Details und sehr stimmungsvoll. Dabei wird die Magie zwar nicht sehr präzise, aber nachvollziehbar dargestellt. Als Sprösslinge mächtiger und reicher Familien setzen die Studierenden ihre Fähigkeiten hauptsächlich zum Feiern und für kriminellen Machenschaften ein, die ihren Status sichern sollen.
Um an die oben genannten Beispiele anzuknüpfen, setzen „Skull and Bones“ ihre seherischen Kräfte für Börsenbetrug ein. „Book and Snake“ kontrollieren Geister zur Spionage, „Wolf’s Head“ nutzen dafür ihre Tiergestalten. Gerade in den Rückblenden, in denen Darlington Alex mit ihrem neuen Umfeld vertraut macht, wird immer wieder die Dekadenz und Sorglosigkeit dieser jungen Menschen sichtbar.
Tatsächlich fragt man sich stellenweise, wie es nach dem Abschluss für diese Leute eigentlich weitergeht. Abgesehen von einigen eingeweihten Dekanen und vereinzelt auftretenden Alumni erzählt Leigh Bardugo wenig über die magische Welt außerhalb von Yale. In diesem Punkt wirkt „Das Neunte Haus“ nicht ganz rund. Nach dem Erfolg des Buches sollen aber noch weitere Teile folgen, die diese Punkte vielleicht zufriedenstellender beleuchten werden.
Abgesehen davon ist das Worldbuilding aber sehr gut gelungen. Zitate aus fiktiven Lexika und Tagebucheinträgen zeichnen ein lebendiges Bild der dekadenten Studierendenverbindungen und ihre magischen Fähigkeiten.
„Das Neunte Haus“ macht Lust auf mehr
Wie sich Alex als Außenseiterin gegen die sorglosen rich kids durchsetzen muss, ist glaubhaft geschrieben. Generell wird sie als vielschichtige und sympathische Figur dargestellt, die sich im Verlauf der Handlung auch mit den Traumata ihrer Vergangenheit auseinandersetzt. Als Warnung vorab: dabei geht es um Themen wie Mobbing, Drogen, Tod und Prostitution, die teilweise kaltschnäuzig und beiläufig abgehandelt werden. Alex umgibt sehr viel Tragik, was ihre Handlungen während der Mordermittlungen, ihre trockene Art und ihren schwarzen Humor aber nachvollziehbar werden lässt.
Lässt man sich auf die Erzählweise ein, in der die Haupthandlung durch viele Rückblenden an Tiefe gewinnt, aber auch etwas Tempo verliert, ist „Das Neunte Haus“ unterm Strich eine sehr unterhaltsame Geschichte. Nicht nur die lebendig beschriebene Welt der magischen Geheimgesellschaften, sondern vor allem die Hauptfigur machen Lust auf weitere Teile, die dann hoffentlich etwas gradliniger erzählt werden.
Beitragsbild: Fotografie von Marc Thorbrügge, 2019
Fußnoten
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