Der König in Gelb

Der König in Gelb

Ein Blick auf die leise tickende Standuhr lässt dich stutzen. Ist wirklich schon so viel Zeit vergangen? Dabei erinnerst du dich kaum daran, was du gerade gelesen hast. Geschichten über einen in der alten Stadt Carcosa thronenden Herrscher tauchen verschwommen in deinen Erinnerungen auf. Wer ist Der König in Gelb? Wieder senkst du deinen Kopf, wieder begibst du dich auf Spurensuche.

Als der König in Gelb geboren wird, liegt seine Heimat bereits in Ruinen. Die alte Stadt Carcosa wird erstmals von Ambrose Bierce beschrieben. 1886 veröffentlicht der Schriftsteller die Geschichte Ein Bewohner von Carcosa. Darin streift ein verlorener Wanderer auf der Suche nach seiner Heimatstadt durch die nächtliche Wildnis, findet das einst blühende Carcosa aber in Ruinen vor. Ein naher Grabstein verrät ihm: Er selbst ist ebenfalls lange vergangen und irrt nun als Geist durch eine ihm fremd gewordene Welt.

Einige Jahre später sitzt mit Robert W. Chambers ein weiterer Schriftsteller am Schreibtisch und lässt sich von der Geschichte inspirieren. Carcosa wird zur Heimstatt des Königs in Gelb, den Chambers in Form von ehrfürchtigen Andeutungen durch sein Werk streifen lässt. Der Autor findet Gefallen daran, unzusammenhängende Erzählungen durch die Andeutung eines gemeinsamen Hintergrundes miteinander zu verbinden.

1895 erscheint schließlich Der König in Gelb, eine Sammlung von zehn Kurzgeschichten. In vier von ihnen wird direkter Bezug auf den König in Gelb und Carcosa genommen. Als verhüllter Herrscher jenseits der bekannten Welt werden jene wahnsinnig, die sich ihm annähern. Auch ein vieldeutiges Theaterstück, das Geheimnisse des Königs in sich bergen soll, sowie das obskure Gelbe Zeichen und die Gottheit Hastur werden erwähnt. Bei letzterer handelt es sich ebenfalls um eine Kreation von Ambrose Bierce, die in dessen Kurzgeschichte Haita der Schäfer vom naiven Protagonisten verehrt wird.

Von Chambers zu Lovecraft

Ein schlüssiger Zusammenhang erschließt sich den Lesenden jedoch auch bei genauerer Lektüre nicht. Trotzdem hinterlassen Chambers Geschichten bleibenden Eindruck und inspirieren schließlich auch H. P. Lovecraft, der die Kurzgeschichtensammlung im Jahr 1927 wahrscheinlich zum ersten Mal liest. Zuvor hat der Schriftsteller mit Cthulhus Ruf und Die Farbe aus dem All zwei seiner bekanntesten und wirksamsten Geschichten verfasst. Mit letzterer bewegt er sich vom Horror-Genre ein Stück weit Richtung Science Fiction, besser gesagt: verbindet diese Genres auf bisher ungekannte Weise.

Mit der Novelle Der Flüsterer im Dunkeln geht er diesen Weg weiter. Der Erzähler stößt in dieser Geschichte auf extraterrestrische Wesen und wird sich bei der Lektüre der Aufzeichnungen eines Freundes all der Dinge bewusst, die im Verborgenen existieren und irgendwie miteinander verbunden sind. Neben den von Lovecraft geschaffenen Wesenheiten Cthulhu und Nyarlathotep, neben der von Lord Dunsany erdachten Stadt Bethmoora, tauchen dort auch Hastur und das Gelbe Zeichen auf.

Wie passen der König und Gelb und Cthulhu in ein Universum?

Es bleibt bei wenigen Erwähnungen im Werk von H. P. Lovecraft. Dennoch wird der König in Gelb heutzutage oft mit dem Autoren verbunden. Verantwortlich dafür ist August Derleth, ein Freund von Lovecraft und selbst Schriftsteller. Nach dem Tod von Lovecraft widmet sich Derleth der Redaktion und Herausgabe des Werkes seines verstorbenen Freundes. Er ist es, durch dessen Wirken die einzelnen Geschichten Lovecrafts heutzutage als zusammenhängende Teile einer eigenen Mythologie gesehen werden. Derleth schafft in eigenen Werken Querverbindungen zwischen Lovecrafts Geschichten, verfasst redaktionelle Anhänge und erschafft somit das, was heute als Chtulhu-Mythos bezeichnet wird, benannt nach einer der bekanntesten von Lovecraft geschaffenen Wesenheiten. 

1939 erscheint erstmals die von August Derleth verfasste Kurzgeschichte The Return of Hastur. Die Gottheit, ein halbes Jahrhundert zuvor von Ambrose Bierce als Hirtengott erdacht, wird bei Derleth zu einer unfassbaren, für Menschen kaum zu beschreibenden Wesenheit, die bisweilen aber auch als monströse, unförmige Masse in Erscheinung tritt. Eine Darstellung, deren Anblick zwar wahnsinnig werden lässt, ansonsten aber nicht mehr viel mit dem Mysterium um den König in Gelb zu tun hat.

Wiederum fast 50 Jahre später widmet sich der Rollenspiel-Autor John Tynes dem Thema. Mit der Version von August Derleth ist Tynes nicht ganz zufrieden und gibt Hastur für das Rollenspielsystem Call of Cthulhu eine neue Gestalt. Bei ihm wird die Gottheit zu einer undurchsichtigen Macht im Hintergrund und der König in Gelb einer ihrer Avatare. Der in Carcosa thronende Herrscher wird somit zu einem schaurigen Gegenspieler, der zahllose Rollenspielcharaktere in einen rauschhaften Wahnsinn treibt, ähnlich wie es den Figuren in Robert W. Chambers Kurzgeschichten ergeht.

Der König in Gelb wird sein eigener Mythos

Es bleiben nicht die einzigen Erwähnungen von Hastur und dem König in Gelb in der Popkultur. Stephen King lässt den jugendlichen Protagonisten der Kurzgeschichte Gramma die Gottheit Hastur anrufen. In der Serie True Detective jagt die Polizei einen Mörder und Vergewaltiger, der sich selbst als König in Gelb und die weitläufige Ruine, die ihm als Unterschlupf dient, als Carcosa bezeichnet.

Der König in Gelb hat eine vielgestaltige Form angenommen. Sein Erscheinungsbild ist wechselhaft, doch immer gleich. Seine Heimstatt Carcosa fern, doch immer nah. Immer da, wo zerbrechliche Geister für sein Flüstern empfänglich sind, verfallen Menschen dem Wahnsinn. Immer dann, wenn Suchende seine Spuren verfolgen und schließlich das Flattern seiner zerlumpten Robe im Wind hören, während zwei Sonnen hinter den Türmen des ewigen Carcosa versinken. 

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Bildnachweis:
Beitragsbild: „Titelbild von ‚Der König in Gelb'“, Zeichnung von Robert W. Chambers, gemeinfrei, ergänzender Hintergrund von canva.com

Fußnoten

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