Horace Walpole - Autor der ersten Gothic Horror Novel

Die Anfänge des Gothic Horror

Sucht man nach den Anfängen des Gothic-Horror-Genres in der Literatur, dann muss man in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts und nach England reisen. Damals entstanden dort grundlegende Werke der klassischen Schauerliteratur. Auch wenn die meisten dieser Romane aus heutiger Sicht altbacken und langatmig wirken, finden sich in ihnen doch viele Motive, die immer noch die gruseligen Geschichten unserer Gegenwart beeinflussen.

Deswegen werfen wir einen Blick auf fünf Autorinnen und Autoren, deren Werke das Genre prägten. Den Anfang in dieser Vorstellungsrunde macht der Mann, der als erster auf die Idee kam, eine „gothic story“ zu schreiben.

Der Erfinder der Gothic Story: Horace Walpole

„Für die Denkenden ist die Welt eine Komödie, für die Fühlenden eine Tragödie.“

Am 24. September des Jahres 1717 erblickte Horace Walpole in London das Licht der Welt. Seine Eltern waren der Politiker Robert Walpole (1676-1745), ab 1721 erster Premierminister von Großbritannien, sowie dessen Frau Catherine. Dank des Einflusses seines Vater konnte Horace später selbst eine politische Karriere beginnen und war von 1741 bis 1768 Mitglied des britischen Parlaments.

Der erste der Gruselautoren
Horace Walpole (1717-1797) / Gemälde von John Giles Eccardt, gemeinfrei

Wie wurde er schließlich zum Gruselautoren? Seine literarische Tätigkeit begann 1757, als er in seinem Anwesen Strawberry Hill eine Druckerpresse aufstellen ließ. Dort druckte er unter anderem die Gedichte seines alten Schulfreundes Thomas Gray (1716-1771), einem der bekanntesten englischsprachigen Dichter seiner Zeit. Walpoles erstes eigenes Werk war The Castle of Otranto, das im Jahr 1764 unter dem Pseudonym William Marshal erschien, aber nicht in Strawberry Hill gedruckt wurde.

In der ersten Auflage täuschte Walpole alias Marshal vor, er habe einen alten italienischen Text übersetzt. Das Original sei 1529 in Neapel gedruckt worden und würde auf einer Geschichte aus dem Hochmittelalter, der Zeit der Gotik, basieren. Erst in der zweiten Auflage von 1765 bekannte sich Walpole zu dem Text und stellte klar, dass dieser komplett aus seiner Feder stammte.

The Castle of Otranto – Die erste Gothic-Horror-Geschichte

The Castle of Otranto handelt von Manfred, dem adligen Herrn von Otranto. Sein Sohn Konrad stirbt kurz vor seiner Hochzeit mit der schönen Isabella unter mysteriösen Umständen – er wird von einem gigantischen Helm erschlagen, der unerklärbar vom Himmel fällt. Manfred sieht sein Geschlecht daraufhin vom Aussterben bedroht. Er wird von dem Gedanken besessen, selber die junge Isabella zu ehelichen und mit ihr einen neuen Erben zu zeugen. Dadurch wird eine Kette von Ereignissen ausgelöst, in deren Folge es zu überraschenden Enthüllungen um das Geschlecht derer von Otranto kommt.

Wurde die erste Auflage noch von der Kritik gefeiert und als wertvolle Übersetzung einer mittelalterlichen Geschichte gelobt, breitete sich Ernüchterung aus, als Horace Walpole sich zur Autorenschaft bekannte und Das Schloss von Otranto [1]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten! somit zum Werk eines Zeitgenossen wurde. Dem Erfolg des Romans tat dies jedoch keinen Abbruch. Statt als mittelalterliche Erzählung aus der Zeit der Gotik wurde er ab der dritten Auflage schlicht als „a gothic story“ verkauft. Ein neuer Genrebegriff war geboren und Horace Walpole ging als einer der ersten Gothic-Horror-Autoren in die Geschichte ein.

Die Tochter des Reverends: Clara Reeve

Clara Reeve wurde am 23. Januar 1729 in Ipswich im Osten Englands geboren. Als Tochter des örtlichen Reverends William Reeve erhielt sie durch ihren Vater eine für damalige Mädchen unübliche Ausbildung. Neben zeitgenössischer Literatur ließ er sie lateinische und altgriechische Schriften studieren. Dadurch konnte sie später als Übersetzerin ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen und war nicht auf das Einkommen eines Mannes angewiesen. Bis an ihr Lebensende blieb sie unverheiratet und starb 1807 in ihrem Geburtsort Ipswich.

Clara Reeve (1729-1807) / Zeichnung von Unbekannt, gemeinfrei

Neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin schrieb sie an eigenen Romanen und beschäftigte sich mit Literaturgeschichte. Als 1764 The Castle of Otranto erschien, wurde sie dazu inspiriert, selbst eine „gothic story“ zu schreiben. Das Ergebnis war The Champion of Virtue und erschien im Jahr 1777 zunächst anonym. Es folgte 1778 eine überarbeitete Version unter dem Titel The Old English Baron, bei der Clara Reeve auch als Autorin angegeben wurde. Genau wie Walpole täuschte sie anfangs vor, bei der Erzählung handle es sich um die Übersetzung eines mittelalterlichen Textes, offenbarte sich nach dem Erfolg der ersten Auflage jedoch als Autorin.

The Old English Baron – ein Ausflug ins Mittelalter

Auch The Old English Baron spielt im Mittelalter. Durch die Heimkehr des Ritters Phillip Harclay wird eine Kette von Ereignissen ausgelöst, durch die schließlich verborgene Familiengeheimnisse enthüllt werden. Im Gegensatz zu The Castle of Otranto fehlt jedoch ein übernatürliches Element, was von der Autorin auch so gewollt ist, weswegen sie nur bedingt zum Gothic-Horror-Genre zu zählen ist.

Im Vorwort zu The Old English Baron [2]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten! gab Reeve an, dass sie glaubwürdige Geschichten bevorzugt. Gleichzeitig kritisierte sie The Castle of Otranto dafür, dass es an manchen Stellen die Grenzen der Realität verlasse. Dies veranlasste Horace Walpole wiederum zu der Erwiderung, dass Reeves Werk „so glaubwürdig (sei), dass jeder Mordprozess im Old Bailey (Zentraler Strafgerichtshof in London) eine interessantere Geschichte wäre.“

Der Dandy unter den Gruselautoren: William Beckford

William Beckford wurde im Jahr 1760 in London geboren. Sein Vater, der ebenfalls William hieß, war ein einflussreicher lokaler Politiker und wurde in den Jahren 1762 und 1767 zum Bürgermeister von London gewählt. Die Beckfords waren sehr wohlhabend und besaßen Plantagen auf Jamaika, wo versklavte Arbeitskräfte für sie Zuckerrohr anbauten. Der Wohlstand der Beckfords wuchs und als William Senior im Jahr 1770 starb, hinterließ er seinem zehnjährigen Sohn eine Million Pfund. Nach heutigen Maßstäben entspricht dies ungefähr 100 Millionen Pfund, also etwa 115 Millionen Euro nach dem aktuellen Wechselkurs.

William Beckford (1760-1844) / Zeichnung von Unbekannt, gemeinfrei

Beckford konnte somit frei von finanziellen Sorgen seine Jugend genießen und seinen Interessen nachgehen. Zwar wurde er 1784 Mitglied des Parlaments und blieb dies auch bis 1820, war aber kein ambitionierter Politiker. Viel eher interessierte er sich für teure Kunstwerke, die er impulsiv und ohne auf den Preis zu achten erwarb.

Wie wurde dieser Dandy nun zum Gothic-Horror-Autoren? Vor allem die Kunstwerke des Orients faszinierten Beckford. Inspiriert von orientalischen Sagen und motiviert von Schauergeschichten wie The Castle of Otranto, wurde er schließlich selbst schriftstellerisch tätig. In angeblich nur drei Tagen und zwei Nächten verfasste er sein Hauptwerk Vathek, das von einem gleichnamigen fiktiven Kalifen handelt.

Vathek – der skrupellose Kalif

Wissbegierig und launisch herrscht Vathek über ein riesiges Reich. Angeregt durch einen Händler aus Indien, der ihm einen Säbel mit eingravierten leuchtenden Buchstaben verkauft, wächst Vatheks Hunger nach noch größeren Schätzen sowie mehr Macht und Wissen. Alle Warnungen ignorierend, wendet er sich okkulten Ritualen zu, die ihn zunehmend ins Verderben stürzen.

Beckford schrieb den Roman ursprünglich auf Französisch und veröffentlichte ihn zunächst nicht. Erst 1786 übertrug einer von Beckfords Mitarbeitern An Arabian Tale ins Englische. Diese Version erschien ebenfalls anonym und unter der Angabe, dass es sich um die Übersetzung eines arabischen Textes handle. Erst als ein Jahr später das französische Original mit dem Titel Vathek [3]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten! erschien, bekannte Beckford sich zur Autorenschaft.

Die düstere Geschichte, in der Vatheks Situation zunehmend beklemmend und ausweglos wird, inspirierte zahlreiche weitere Autoren, unter anderem Edgar Allen Poe und H. P. Lovecraft. Seine Karriere als Schriftsteller verfolgte Beckford jedoch, wie so vieles in seinem Leben, nur halbherzig. Er verfasste nur noch wenige Schriften, von denen keine so erfolgreich wurde wie Vathek.

Die Meisterin der düsteren Romantik: Ann Radcliffe

Ann Radcliffe wurde am 9. Juli 1764 als Ann Ward in London geboren. Obwohl sie die Tochter eines einfachen Kaufmanns war, wuchs sie in gehobener Gesellschaft auf, da sie viel Zeit bei einem ihrer Onkel verbrachte, der ein reicher Prozellanhersteller war. 1787 heiratete sie den Journalisten William Radcliffe (1763-1830), dessen Nachnamen sie annahm.

Ann Radcliffe (1764-1823) / Zeichnung von Unbekannt, gemeinfrei

William ermutigte seine Frau, sich als Autorin zu betätigen, als er ihre schriftstellerische Begabung erkannte. Ihre ersten beiden Romane erschienen 1789 und 1790 anonym. The Castles of Athlin and Dunbayne und A Sicilian Romance sind spannende Liebesromane mit undurchsichtigen Figuren, komplexen Intrigen und beeindruckenden Landschaftsbeschreibungen.

The Romance of the Forest – Liebe und Vergänglichkeit treffen aufeinander

Erst mit The Romance of the Forest [4]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten! ließ Ann Radcliffe ein übernatürliches Element in ihr Werk einfließen und wurde schließlich zu einer der bekanntesten Schriftstellerinnen des klassischen Gothic Horror. Der Roman erschien 1791 zunächst anonym, aber nachdem er ein großer Erfolg wurde, bekannte sich die Autorin zu ihrem Werk. Darin verwob sie ein komplexes Liebesdrama mit schauerlichen Elementen und inspirierte somit zahlreiche Romane und Kurzgeschichten, in denen Liebe und Tod in der gehobenen Gesellschaft aufeinandertreffen.

Auch The Mysteries of Udolpho (1794) und The Italian (1797) wurden große Erfolge, von denen das Ehepaar Radcliffe gut leben konnte. Bis zu ihrem Tod am 7. Februar 1823 lebte Ann Radcliffe jedoch zurückgezogen und widmete sich eher Reiseberichten und Gedichten.  Ihr letzter Roman allerdings, Gaston de Blondeville, der 1826 posthum erschien, war wieder eine romantische Gruselgeschichte.

Die Furcht des kleinen Mannes: William Godwin

Am 3. März 1756 wurde in Wisbech in der Grafschaft Cambridgeshire William Godwin geboren. Er hatte zwölf Geschwister und war der Sohn eines freikirchlichen Pfarrers. Zunächst wollte er selber Prediger werden, entschied sich schließlich aber dagegen. Er beschloss, sein Glück als Schriftsteller in der großen Stadt London zu versuchen und zog 1782 dorthin.

Einer der politischsten Gruselautoren
William Godwin (1756-1836) / Gemälde von John Northcote, gemeinfrei

Dort wurde Godwin zunehmend zu einem politischen Autor. Vor allem die Französische Revolution, die ab 1789 Europa erschütterte, beeindruckte ihn nachhaltig. Godwin zeigte Sympathien gegenüber den revolutionären Idealen und bekundete dies auch in schriftlicher Form. In seiner Schrift Enquiry concerning political Justice, die 1792 erschien, formulierte er seine eigenen politischen Ideen aus. Er wünschte sich die Möglichkeit zur Selbstbestimmung für jeden einzelnen Menschen und zwar in der radikalsten Form. Godwin artikulierte in seiner Schrift den modernen Anarchismus und beeinflusst damit bis heute politische Aktive auf der ganzen Welt.

Was brachte Godwin schließlich dazu, eine Gothic-Horror-Story zu schreiben? Zwar war Enquiry concerning political Justice einigermaßen erfolgreich, doch die breiten Massen erreichte er damit nicht. Also versuchte er es zusätzlich mit einem Roman, mit dem er seine Ideen populärer machen wollte. So entstand der Roman Caleb Williams [5]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten!, der 1793 erschien und durchaus erfolgreich wurde.

Caleb Williams – Nichts ist grauenvoller als die politische Realität

In dem Roman gerät der einfache Diener Caleb Williams aufgrund eines Verbrechens seines reichen Herrn unverschuldet in einen Konflikt mit der Justiz. Zwischen all den Intrigen und Gefahren macht sich schleichender Wahnsinn breit. Das Ende der Originalversion lässt den Leser schließlich daran zweifeln, ob der Ich-Erzähler Caleb nicht wirklich den Verstand verloren habe und tatsächlich ein Verbrechen begangen hat. Die veröffentlichte Version ist versöhnlicher und Caleb erkennt, dass sowohl Unterdrücker als auch Unterdrückter trotz allem Menschen sind und damit alle die gleichen Rechte haben sollten, ungeachtet ihrer bisher ausgeübten Rollen. Der Schauerroman wurde hiermit zum Gefäß einer politischen Botschaft und William Godwin somit zum politischsten Gruselautoren seiner Zeit.

Godwin wurde durch Caleb Williams noch bekannter und schließlich zum populärsten Anarchismustheoretiker seiner Zeit. Gemeinsam mit seiner ersten Frau Mary Wollstonecraft setzte er sich zudem für eine Ausweitung der Frauenrechte ein. Die Tochter der beiden, die ebenfalls den Namen Mary erhielt, sollte ihre Eltern jedoch an Bekanntheit übertreffen. Nach ihrer Eheschließung hieß sie Mary Shelley und wurde schließlich als Autorin eines der bekanntesten Horrorromane aller Zeiten berühmt: Frankenstein.

Gothic Horror jenseits des Mittelalters

Eine Generation nach Horace Walpole, Clara Reeve, William Beckford, Ann Radcliff und William Godwin kreierte Mary Shelley eine gewandeltete, modernere Version des Gothic Horror, auch bekannt als Schwarze Romantik. In Deutschland widmete sich E. T. A. Hoffmann diesem Genre und in den USA der berühmte Autor Egdar Allan Poe. Die Handlung musste inzwischen nicht mehr im gotischen Mittelalter stattfinden, sondern konnte auch in die Gegenwart verlegt werden.

Heute hat sich dies jedoch ironisch gewendet. Sprechen wir jetzt von „gothic horror“, haben wir eben nicht mehr das Mittelalter vor Augen, sondern die Zeit, in der das Genre entstand. Filme wie Sleepy Hollow[6]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten!, Pakt der Wölfe[7]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten! oder Crimson Peak[8]Affiliate-Link. Kaufst Du über einen Affiliate-Link etwas, wird der registrierte Partner am Umsatz beteiligt. Dadurch entstehen dir aber keine Mehrkosten! spielen im 18. und 19. Jahrhundert, wo in unserer Zeit schaurig-romantische Geschichten verortet werden. Das Mittelalter inspiriert heutzutage eher Fantasy-Geschichten, die zwar stellenweise auch gruselig werden können, aber dieses Thema heben wir uns für einen anderen Artikel auf. 

Beitragsbild: „Horace Walpole“, Gemälde von Joshua Reynolds, gemeinfrei

Fußnoten

Fußnoten
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