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Robert Eggers – Nosferatu, der Untote

„Nosferatu“ ist ein Titel, der eng mit der deutschen Filmgeschichte verbunden ist. F. W. Murnau dirigierte die inoffizielle Verfilmung des Vampirromans „Dracula“, die im Jahr 1922 in die Kinos kam. Der Film ist dank seiner zeitlosen Motive heute noch relevant, die aktuelle Neuinterpretation durch Regisseur Robert Eggers also durchaus sinnvoll.

London oder Wisborg?

F. W. Murnau entschied sich, aus rechtlichen, aber auch künstlerischen Gründen, zu mehreren Änderungen, um „Nosferatu“ von „Dracula“ zu unterscheiden. Die Handlung verlegte er aus dem viktorianischen London des späten 19. Jahrhunderts in die fiktive Hafenstadt Wisborg und das Jahr 1838.

Statt einer industrialisierten Metropole wird also eine idyllische Kleinstadt durch den Vampir heimgesucht. Graf Dracula ist von dem Wunsch geschrieben, sich im modernen Herz des Kapitalismus einzunisten und entwickelt je nach Variante eher zufällig eine Obsession für die Ehefrau des Maklers, der ihn in Transsylvanien aufsucht, um ihm ein neues Heim zu verkaufen.

Graf Orlok aus „Nosferatu“ fällt hingegen wie ein schauderhafter Geist über Wisborg her. Seine Ankunft, die ihm folgende Pest, bringt die Stadt an den Rand des Ruins, wohingegen das Geisterschiff mit dem Dracula anreist, den Zeitungen Londons nur einige boulevardeske Artikel wert ist. Auch ist Orlok ganz klar getrieben von seinem Verlangen nach Ellen Hutter, der Ehefrau des Maklers Thomas.

Melancholie und Bestialität

In der Version von Robert Eggers, wird sie, gespielt von Lily-Rose Depp, zum Zentrum der Handlung. Bereits zu Beginn des Films erfahren wir, dass sie seit ihrer Jugend von dem Vampir träumt, sich gar von ihm angezogen fühlt. Der Untote reagiert auf ihr Verlangen, vermag es sowohl zu stillen als auch zu erhalten und entwickelt seinerseits eine Obsession zu der jungen Frau.

Als schließlich Thomas in Ellens Leben tritt und ihre sexuellen wie romantischen Bedürfnisse befriedigt, setzt sich Graf Orlok eifersüchtig und wütend in Bewegung. Er ist es, der durch telepathische Befehle an Thomas Hutters Arbeitgeber Knock den jungen Immobilienmakler Hutter nach Transsylvanien lockt.

Das Schauspiel von Bill Skarsgård, der unter der Maske steckt, funktioniert dann am besten, wenn ihm Nicolas Hoult als Thomas Hutter gegenübersteht. Ist er vor Angst gelähmt, von der Dominanz des Grafen getrieben, dann entfaltet die Aura des Vampirs auch beim Publikum seine Wirkung. Später sind es eher die beeindruckenden Bilder, in denen Orloks Macht angedeutet wird, weniger die tatsächlichen Auftritte von Skarsgård, die ein mulmiges Gefühl bereiten und in Erinnerung bleiben.

Norddeutsche Zurückhaltung

Während Thomas auf seiner verhängnisvollen Dienstriese ist, kommt Ellen bei seinem Freund Friedrich Harding und dessen Familie unter. Als sich die verstörenden Träume der jungen Frau sowie die damit verbundenen Krämpfe zuspitzen, bittet er den Art Wilhelm Sievers um Hilfe.

Gespielt von Ralph Ineson und Aaron Taylor-Johnson reagieren diese beiden Figuren mit der ganzen Frauenverachtung des 19. Jahrhunderts auf den sich verschlechternden Zustand von Ellen Hutter. Sie wird ans Bett gefesselt und sediert, während sie von Visionen des nahenden Grafen Orlok heimgesucht wird.

Ineson spielt den Arzt ruhig und unerschütterlich, bleibt dadurch aber trotz seiner körperlichen wie stimmlichen Präsenz blass. Taylor-Johnson windet sich als Harding unter sichtbar steigendem und nachvollziehbarem Unwohlsein durch den Film, lässt am Ende aber Nuancen vermissen. Womöglich verfolgten beide Schauspieler den Ansatz, sich norddeutsch reserviert zu geben, bekommen zugegebenermaßen aber auch nur wenige prägnante Momente durch das Drehbuch spendiert.

Unstillbares Verlangen

Professor von Franz, dargestellt von Willem Dafoe, der schließlich von Sievers hinzugezogen wird, ist aufgeschlossener für eine paranormale Erklärung von Ellens Leiden. Letztlich ist die junge Frau für den Gelehrten aber nur eine Projektionsfläche seiner eigenen Idealvorstellung von einer Magierin oder Priesterin aus alten Zeiten. Diese Bewunderung, dieser Wunsch, kommt dem rohen Verlangen nahe, das den Vampir Orlok antreibt.

Ellen Hutter selbst schweigt sich zu all dem aus. Lediglich ihrem Ehemann Thomas offenbart sie nach dessen überraschender Rückkehr aus Transsylvanien, dass sie Orlok einst aus freien Stücken zu sich rief. Reuig und frustriert stellt sie fest, dass Thomas ihr Verlangen letztlich doch nicht zu stillen vermochte. Bestätigt durch die Theorien des Professors ergibt sie sich ihrem Schicksal, opfert sich dem Vampir, um ihn somit zu besiegen.

Beeindruckende Kulissen

Insgesamt stehen sowohl die schauspielerischen Leistungen als auch der Subtext rund um Sexualität und Verlangen hinter den prächtigen Bildern zurück. Robert Eggers hat bereits in „The Nothman“ und „The Witch“ bewiesen, dass er detailreiche Kulissen beeindruckend in Szene setzen kann. „Nosferatu“ wurde größtenteils mit natürlichem Licht gedreht, wodurch sich die Umgebung sehr real anfühlt. Auch die Kamera geht oft nah an die Gesichter, hält auch in unangenehmen Momenten drauf, was für eine beklemmende Stimmung sorgt.

Umso stärker wirkt der Bruch, wenn der Film ins Märchenhafte umschlägt, wenn die Schatten auf magische Weise wachsen und Orlok ganz in der Nacht aufzugehen scheint. Diese Momente sind wie eine Hommage an das Original von F. W. Murnau, dessen Bildsprache völlig zurecht seinen festen Platz in der Filmgeschichte hat.

In diesem Punkt war Robert Eggers nicht konsequent genug. Eine noch größere Zuspitzung auf die Figur der Ellen Hutter, die Spannung zwischen Verlangen und Hingabe, noch rohere und ungeschönte Bilder hätten seiner Version mehr Eigenständigkeit verliehen.

„Nosferatu“ endet berauschend und enttäuschend

Die letzte Szene macht allerdings deutlich, dass nicht so viel hinter der Idee steckt, sondern unter den opulenten Bildern rohe, fast schon banale Triebe sehr offensichtlich thematisiert werden. Vermutlich ist aber gerade das die Absicht des Regisseurs gewesen, der auch das Drehbuch geschrieben hat.

Ellen Hutter hat sich Orlok schließlich hingegeben und somit gefesselt, bis die ersten Sonnenstrahlen den Vampir vernichten. Zuvor sehen wir den Vampir erstmals unverschwommen und unverhüllt, nackt und zügellos das Blut der Frau saugend, die sich ihm teilnahmslos hingibt.

In diesem Höhepunkt vergehen schließlich beide. Zurück bleiben ein trauernder Thomas Hutter und ein fröhlicher Professor von Franz, der sich in seiner Vorstellung von Ellen und ihrem Opferschicksal bestätigt sieht. Beide stehen stellvertretend für das Publikum am Totenbett. Die einen mögen berauscht sein, weil sie genau das sehen wollten, die anderen wie nach einem enttäuschenden Liebesspiel denken: Das war es?

Ein filmisches Kunstwerk mit altbackener Moral

Insgesamt bleibt die Neuverfilmung hinter ihren Möglichkeiten zurück, vielleicht auch, weil sie es sich im 19. Jahrhundert gemütlich macht. Ellens symbolische Rolle als Verführerin und Erlöserin, als Spiegel menschlicher Begierden und Ängste bietet vor allem im Kontext des aktuellen Zeitgeschehens spannende Ansätze, wird aber fast schon schulterzuckend als tragische Figur in einem biederen Morallehrstück inszeniert. Am Ende hat ihr Verlangen, personifiziert durch Graf Orlok, schließlich nur die Pest über Wisborg und auch Ellen selbst den Tod gebracht.

Zudem verliert sich der Film gelegentlich in ästhetischer Selbstverliebtheit, die das Erzähltempo dämpft und die emotionale Tiefe zugunsten visueller Perfektion vernachlässigt. Abschließend lässt sich sagen, dass „Nosferatu“ ein filmisches Kunstwerk ist – aber kein neuer Klassiker.

Der Trailer auf YouTube

Beitragsbild: Fotografie von Marc Thorbrügge, 2024

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